Ekel

Gestern war mein Buxbaum voller Raupen. Hübsche, dunkel- und hellgrün gestreifte Tierchen, perfekt angepasst an ihren Lebensraum – den sie nur leider in bemerkenswerter Geschwindigkeit zerstörten. Die kleine Hecke war fast schon zur Gänze kahl gefressen. Bald würden sich die kleinen Schädlinge verpuppen, wunderschöne Schmetterlinge werden und in Nachbars Garten die nächste Hecke befallen.

Auf meinen eigenen Bux könnte ich verzichten (werde ich wohl auch müssen), aber in meinem Pflichtbewusstsein gegenüber meinem sozialen Umfeld (der Gesellschaft) war mir auch klar, was ich jetzt tun musste. Ich schnitt meine Bäumchen weitgehend zurück, trennte einen Teil der Tierchen mittels Hochdruckstrahl von ihrer Existenzgrundlage und für die übrigen holte ich das Gift vom Vorjahr aus dem Keller.

Tja, und jetzt kam der Ekel. Übelkeit stieg hoch. Mit einiger Überwindung sprühte ich das Gift auf die kleinen, hilflosen Wesen und sah zu, wie ihre Beißwerkzeuge verklebten, bis sie leblos an den Ästen hingen. Ich unterbrach die Arbeit und stürzte ins Haus. „Pfeif auf die Nachbarn!“, dachte ich. Einige Zeit später ging ich wieder in den Garten. Die Raupen an den Büschen waren tot. Auf den Ästen die ich zuvor abgeschnitten hatte, gab es jedoch noch Überlebende. Entlang der Mauer und an selbst gesponnenen Fäden zogen sie sich hoch. Überrascht stellte ich fest, dass ich mich nun auch vor den hübschen, lebenden Tierchen ekelte. Meine Abscheu gegen die eigene, scheußliche Tat richtete sich gegen meine Opfer, rechtfertigte also nachträglich mein eigenes Verbrechen.

Gift habe ich trotzdem keines mehr geholt. Bux werde ich aber so bald keinen mehr pflanzen…

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